Forschungsvorhaben "Energieoptimale, intelligente Lenkkraftunterstützung für elektrische Fahrzeuge (e²-Lenk) : Schlussbericht

Kurzfassung

Mit der Möglichkeit, durch (elektrische) radselektive Antriebe Drehmomente und somit Antriebsleistung gezielt zu verteilen, können stabilisierende Eingriffe durch rekuperatives Bremsen einerseits oder Energieeintrag andererseits realisiert werden. Erweitert man die Betrachtung von eher kurzzeitigen, stabilisierenden Eingriffen auf längere Eingriffe, ergibt sich bei geeigneter geometrischer Auslegung der Lenkungsgeometrie der gelenkten Achse die Möglichkeit, eine Winkeländerung der gelenkten Räder zu realisieren. Im Vergleich zu konventionellen Lenkkraftunterstützungen (LKU) bietet die Nutzung der radselektiven Antriebe die Möglichkeit, bisher notwendige Aktorik zu substituieren.

Auf Basis dieser Grundlage ergab sich die übergeordnete Zielsetzung, das Potenzial radselektiver Traktionsantriebe zur Nutzung als energieoptimale, elektrische LKU zu untersuchen. Aufgrund der Neuheit des Ansatzes wurde das Verbundvorhaben als Machbarkeitsstudie verstanden. Neben der technischen Zielsetzung adressierte das Projekt das Ziel, den Austausch zwischen Industrie und Wissenschaft zu vertiefen.

Durch eine ausführliche Analyse der Ausgangsituation im Stand der Technik, wurde die Grundlage für das restliche Projekt gelegt, durch die Definition der Spezifikationen und Identifikation von Wissen, auf dem aufgebaut werden kann.

Die Hauptentwicklungsarbeit fand in der Konzeption und Ausgestaltung einer passenden Lenkungsgeometrie und Regelung statt. Diese Arbeit geschah parallel nach demselben Schema. Es wurden iterativ die Parameter optimiert und mit Simulationen geprüft, wie sich die Änderungen auswirken. Zusätzlich flossen Rahmenbedingungen der Konstruktion in die Parameteroptimierung ein. Zum Abschluss dieser Konzeption und Ausgestaltung, wurden die so entwickelten Konzepte in einem Funktionsdemonstrator umgesetzt. Für die Vorderräder hat sich ein Doppelquerlenker mit aufgelösten unteren Querlenkern als beste Lösung herausgestellt, während an den Hinterrädern ein Fünf-Lenker-Prinzip umgesetzt wurde.

Für die Regelung wurde ein LQ-Regler (Riccati) mit Gain-Schaltung entwickelt, um die Verteilung der Antriebe auf die einzelnen Räder zu steuern und eine gewünschte Lenkkraftunterstützung zu erzeugen.

Als letzter Schritt der inhaltlichen Arbeit wurde der erwähnte Funktionsdemonstrator ELF++ in einem Maßstab von 1:1,5 anhand der Konzeptions- und Ausgestaltungsphase konzipiert und aufgebaut. Dieser konnte sowohl durch ein Lenkrad im Fahrzeug als auch mit einer Fernsteuerung bzw. autonom entlang einer vorgegebenen Trajektorie gefahren werden. So wurden standardisierte Fahrmanöver genutzt, um die Eigenschaften des e²-Lenk Konzepts zu validieren und mit den Simulationsergebnissen zu vergleichen.

Die Fahrversuche (Geradeausfahrt, quasistationäre Kreisfahrt, Slalomfahrt, Realfahrt, Lenkwinkelsprung) zeigen eindeutig, dass durch das e²-Lenk Konzept das für den Fahrer notwendige Handmoment deutlich reduziert werden kann. Die Geradeausfahrt im speziellen zeigt, dass durch das Nutzen einer Friktionsbremse beim Bremsen kein effektives Lenkmoment an den Rädern induziert wird, wodurch keine Effekte auftreten, die den Einsatz von klassischen Fahrsicherheitstechniken wie ABS oder ESP verhindern würden. Das Fahrmanöver Lenkwinkelsprung zeigt zusätzlich, dass mit dem e²-Lenk Konzept bei gleichem Lenkwinkel eine höhere Gierrate erreicht werden kann, was in einem reduzierten Kurvenradius resultiert. Damit konnte gezeigt werden, dass das e²-Lenk Konzept dazu geeignet ist, eine konventionelle LKU zu substituieren.

In einer IPG CarMaker Simulation wurde die Fahrdynamik eines mit e²-Lenk ausgerüsteten Fahrzeugs untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass das e²-Lenk Konzept zu niedrigeren lateralen Kräften an der Vorderachse führt, bei gleichzeitig steigenden lateralen Kräften an der Hinterachse. Es konnte aber auch gezeigt werden, dass bei einer Antriebsmomentenverteilung zwischen 40 und 60 Nm die höchsten lateralen Beschleunigungen erreicht werden können, bevor das Fahrzeug instabil wird. Das bedeutet, dass die Fahrdynamik eines Fahrzeugs im Vergleich zu einem Fahrzeug ohne LKU verbessert werden kann. Dies führt auch dazu, dass mit einer geschickten Antriebsmomentverteilung im querdynamischen Grenzbereich die Fahrsicherheit erhöht werden kann.

Simulationen mit IPG CarMaker zur energetischen Analyse des e²-Lenk Konzepts zeigten, dass im Vergleich zu konventionellen LKU eine Energiereduktion von bis zu 0,95% erreicht werden kann bei einem defensiven Fahrstil. Über dem betrachteten Querbeschleunigungsintervall, kann eine Reduktion des Energiebedarfs von 0,43% erreicht werden. Mit einem speziellen Design des Fahrzeugchassis, könnte der Energiebedarf in Kombi-nation mit e²-Lenk noch weiter reduziert werden.

Simulationen zur Analyse der funktionalen Sicherheit mit IPG CarMaker und Matlab Simulink zeigten auch, dass das e²-Link System zu einer ASIL D Klassifizierung führen. Weiterhin zeigten die Simulationen, dass alle Störfälle, außer der konstanten Lenkkraftunterstützung, kritisch sind im Zusammenhang mit Fahrzeugwendungen, Kurvenfahrten oder Ein- und Ausfahrten auf Straßen. Die Auswertung der Fehlertoleranz von e²‑Lenk zeigte, dass Fahrer Störfälle in einem gewissen Bereich kontrollieren können. Die Auswirkung von Störfällen ist bei e²-Lenk und klassischem EPS ähnlich.

Im Rahmen des Projektes e²-Lenk wurden die Zwischenergebnisse über verschiedene Kanäle veröffentlicht bzw. verschriftlicht. Das Konzept und die Ergebnisse sind in Journals und Konferenzschriften veröffentlicht. Öffentlichkeitsarbeit wurde mit Vorträgen und Messebesuchen betrieben. Die Zielsetzung, den Austausch zwischen Industrie und Wissenschaft zu vertiefen, wurde durch die Betreuung 37 Abschlussarbeiten von Studierenden verfolgt, von denen auch drei mit einem Preis ausgezeichnet wurden. Auch konnten Patente angemeldet und Erfindungsmeldungen gemacht werden im Laufe des Projektes.

Die so gezeigte Möglichkeit zur Substitution einer klassischen LKU hat zahlreiche Vorteile, wie die Möglichkeit einer kompakteren Bauweise und damit einhergehend einer Senkung von Kosten und Umweltbelastung oder die Senkung des Energieverbrauchs, was mit der zunehmenden Elektrifizierung des Autos eine immer wichtigere Rolle spielt, um die Reichweite der Fahrzeuge zu erhöhen.

In der ersten Hälfte von 2018 laufen Bemühungen, um mit einem mit einer von Schaeffler entwickelten E‑Achse modifizierten Skoda Octavia, das e²-Lenk Konzept in einem echten Fahrzeug zu untersuchen.

Die Elektrifizierung des Antriebsstrangs bei Knicklenkerfahrzeugen (z. B. Kommunalfahrzeuge) erlaubt den Einsatz des e²-Lenk Prinzips auch bei dieser Art der Fahrzeuge, z. B. mit radindividuellem Antrieb an allen vier Rädern. Ein Demonstratorfahrzeug zum Nachweis der Übertragbarkeit des e²-Lenk Prinzips auf Knicklenker als Alternative einer konventionellen LKU wurde bereits aufgebaut. Es zeigte sich, dass das Einknicken des Fahrzeugs durch die Regelung der Antriebskräfte erreicht werden kann, wodurch eine hydraulische Zwangslenkung entfällt. Zusätzlich kann durch die Redundanz, d.h. alle vier Räder sind radindividuell ansteuerbar, der Ausfall eines Antriebsmotors kompensiert werden.

Das beantragte Verbundprojekt SmartLoad, welches neue Methoden zur Zuverlässigkeitssteigerung von hochautomatisierten elektrischen Fahrzeugen entwickeln soll, würde den im Rahmen von e²-Lenk entwickelten Funktionsdemonstrator (Maßstab 1:1,5) für Testzwecke nutzen und weiterentwickeln.

Der Trend zur Elektrifizierung von Pedelecs, vor allem im gewerblichen Gebrauch, eröffnet auch die Möglichkeit des Nutzens des e²-Lenk Prinzips. Bei drei- bzw. vierrädrigen Lastenrädern könnte so eine LKU für den Fahrer realisiert und die Fahrsicherheit erhöht werden.